Kommune 1/2012

Forum für Politik, Ökonomie und Kultur

 

Wolfgang Templin

 

 

Václav Havel
Dissident, Staatsmann, Europäer


Bereits in den frühen siebziger Jahren kannte man Vaclav Havel in der DDR. Mindestens galt das für diejenigen in der jüngeren Generation, deren Traum von einem „Sozialismus mit menschlichem Antlitz“ durch die Panzer in Prag zerstoben war. In der „ordentlichsten Baracke im Lager“, wie die DDR von ihren mittelosteuropäischen Nachbarn sarkastisch genannt wurde, machten die Texte seiner Theaterstücke die Runde. Absurditäten des Alltags und das allgegenwärtige Warten auf Godot, so teilten sich geteilte Erfahrungen mit . Aufstände und Proteste waren gescheitert, die Hoffnungen auf eine innere Erneuerung der kommunistischen Parteien, auf eine Liberalisierung von oben, hatten sich als Illusion erwiesen – was konnte jetzt noch den lähmenden Status Quo überschreiten?

 

 

In Polen geschah im Sommer 1976 etwas Unerwartetes, Ungewöhnliches. Auf Arbeiterproteste gegen massive Preiserhöhungen reagierten die volkspolnischen Machthaber unter Edward Gierek mit einer massiven Repressionswelle. Als Antwort darauf wurde im Spätsommer das Komitee zur Verteidigung der Arbeiter (KOR) begründet. In ihm waren Intellektuelle, Angestellte und Arbeiter vertreten, Exkommunisten, Katholiken und patriotische Konservative. Sie hatten kein gemeinsames politisches Programm, keine ausgearbeitete Strategie, sondern wollten nicht länger schweigen, sic h wehren gegen Unrecht, dass anderen zugefügt wurde, praktische Solidarität üben.

 

 

Knapp ein Jahr später, im Sommer 1977, durchbrachen Frauen und Männer die bleierne Last des Schweigens in der damaligen CSSR. Der Auslöser waren keine gesellschaftlichen Proteste im Land, sondern das gemeinsame Bewusstsein, dass es so nicht weitergehen konnte. Auf die Euphorie des Prager Frühlings folgte nach dem Einmarsch der Truppen des Warschauer Paktes, Lähmung und Depression. Zahlreiche kritische Geister verließen das Land, Hunderttausende wurden von einer Welle von Berufsverboten erfasst, andere versuchten sich anzupassen , einzurichten, in und mit der Lüge zu leben. Dem stellten sich die Initiatoren der Charta 77 entgegen, deren Unterzeichner vom Universitätsprofessor bis zur Hausfrau reichten, Sozialisten, Liberale und Christen umfassten. Einer ihrer prominentesten Vertreter war Vaclav Havel. Seine bürgerliche Herkunft, die künstlerischen Neigungen, seine Existenz als Bohemien, stellte ihn zwischen die politischen Lager des Prager Frühlings und der Folgesituation. Seine Essays aus dieser Zeit griffen nicht nur die Situation in der CSSR auf, sie galten allen Gesellschaften, die unter einer Diktatur litten, behandelten grundlegende existentielle Fragen. Wie konnte ein „Leben in der Wahrheit“ aussehen, bei vorherrschendem Schweigen und offiziell verkündeten Propagandalügen? Wie konnte sich eine Öffentlichkeit bilden in einer Gesellschaft, die keinen freien öffentlichen Raum vorsah? Konnte daraus wirklich die Macht der Ohnmächtigen erwachsen?

 

 

Vaclav Havels Essays, die diesen Fragen gewidmet waren, kursierten im gesamten Ostblock. Die zeitnah entstandenen Arbeiten des ungarischen Intellektuellen und Dissidenten György Konrad zur „Politik der Antipolitik“ und die Artikel Jacek Kurons und Adam Michniks aus den späten siebziger Jahren, behandelten auf andere Weise die Spezifik gewaltlosen Widerstandes und die Chancen zivilgesellschaftlichen Handelns in Diktaturen. Die sich neu formierende polnischen Opposition, welche durch die Wahl eines polnischen Papstes beflügelt wurde, sah man in den unabhängigen Friedensgruppen der DDR mit großer Bewunderung aber zugleich mit gehörigem Abstand. Ihre gesellschaftliche Verankerung und ihre Traditionen waren uneinholbar und unvergleichbar. Näher an der eigenen Außenseitersituation waren da die Personen und Thesen der Charta 77, der es erst in den späten Achtzigern gelang, sich aus der Isolation zu lösen.

 

 

Bei den Reisen unabhängiger Geister nach Prag, spielten Besuche bei verschiedenen Chartisten und deren Anhängern eine wichtige Rolle. Es konnten der Sozialist Petr Uhl, seine Frau Anna Sabatova und ihr Vater Jan Sabata sein, die aus dem akademischen Leben verbannten Philosophen und Historiker, oder eben Vaclav Havel, der ganz verschiedene Personen anzog.

 

 

Wieder kam ein Sommer der Hoffnung. Die Gdansker Leninwerft – welch Wink der Geschichte – wurde zum Geburtsort der Solidarnosc, einer politischen Massenbewegung, welche das letzte Jahrzehnt der verrotteten Diktaturen des Ostblocks einläutete. Daran konnte auch der Schock des Kriegsrechts nichts ändern - die mittelosteuropäische demokratische Opposition rückte immer näher zusammen. Zu deren größten Autoritäten zählte Vaclav Havel, der seine Unbeugsamkeit und seinen Willen im Land auszuharren, mit mehreren Jahren Gefängnishaft büßte.

 

 

Wieder wurde das Unmögliche möglich, polnische und tschechische Oppositionelle, auf beiden Seiten unter Reiseverbot gestellt, ohne Pässe, permanent beobachtet und verfolgt, schlugen ihren Aufpassern mehrfach ein Schnippchen. Sie trafen sich auf den Passhöhen des Sudetengebirges und die Bilder davon gingen um die Welt. Mitten unter ihnen Vaclav Havel. Eine polnisch-tschechische Solidarnosc-Initiative entstand, die sich dem Austausch von Literatur, der Organisation von Untergrund-Konzerten und vielen weiteren Formen der Zusammenarbeit widmete. Auch in der DDR formierten sich endlich Ansätze einer politischen Opposition. Im Sommer 1987 richteten Mitglieder der Ostberliner Initiative Frieden und Menschenrechte eine Grußadresse an die Charta 77, anlässlich ihres zehnjährigen Bestehens. Sie beschrieben die Existenz und das Wirken der Charta als „eine Ermutigung und eine Quelle der Inspiration“. Was später so selbstverständlich klang –der Schulterschluss mit der demokratischen Opposition in den ostmitteleuropäischen Nachbarländern – war damals ein Vorstoß, den zahlreiche Kirchenkreise in der DDR nicht teilten. Das gleiche galt für die mit dem Namen Vaclav Havel verbundene internationale Diskussion über die „Rückkehr nach Europa; die Überwindung des durch Jalta und Potsdam zementierten Status Quo.

 

 

Wie schnell dieser Status Quo in Frage stand, zeigte das Jahr 1989. Polen gab das Beispiel, wie anhaltender Widerstand und Kompromissangebote, mündend in Runden Tischen, die kommunistischen Machthaber zum Rückzug nötigen konnten. In Prag ging alles sehr schnell. Nach letzten Prügelorgien der Polizei, verkündeten Ende November 1989 hunderttausende Demonstranten ihren klaren Willen: „Havel auf die Burg“. Im Ergebnis der samtenen Revolution wurde aus dem Dissidenten der Präsident und Staatsmann. Der Nonkonformist Vaclav Havel blieb sich auch in dieser Verantwortung treu und stellte damit das Diktum von Timothy Garton Ash in Frage, nach dem ein Dissident zum Politiker werden könne und umgekehrt aber beides zusammen nie ginge. Nicht alle Kompromisse blieben ihm erspart aber er prägte das Amt mit seinem unverwechselbaren Stil, dem moralischen Anspruch an das politische Handeln und seinem Eintreten für die Verteidigung und Durchsetzung der Menschenrechte weltweit.

 

Viele seiner Träume und Hoffnungen, die mit dem eigenen Land verbunden waren, erfüllten sich nicht oder bleiben ein Anstoß für die Zukunft. Die Begeisterung und Solidarität der Revolutionstage machte der Ernüchterung und dem Kleinmut des Alltags Platz, Tschechien und die Slowakei trennten sich als Staaten, Weggefährten und Freunde zogen sich enttäuscht ins Privatleben zurück. Mit dem marktliberalen Vaclav Klaus und dessen Unterstützern erwuchs Havel ein Gegenspieler, der nichts von europäischen Visionen hielt, für den die Verbindung von Moral und Politik ein frommer Wunsch war, der Parteienhader und soziale Egoismen beförderte, wo er nur konnte.

 

 

Nach Ende seiner aktiven Amtszeit, geschwächt durch Krankheit und politische Konflikte, erwachte in Vaclav Havel noch einmal die Berufung als Künstler. Er kehrte zu seinen Ursprüngen, zum Theater und zum Film zurück, setzte sich mit der Gefährdung der Demokratie in demokratisch verfassten Gesellschaften auseinander. Das kostbare Gut der Freiheit, kann nicht nur durch diktatorischen Zwang in Frage gestellt werden, sondern auch durch Konformismus, Reduktion der menschlichen Bedürfnisse und fehlende Solidarität.

 

Noch in den letzten Monaten seines Lebens setzte sich Havel für den inhaftierten chinesischen Künstler Liu Xiaobo und die Unterzeichner der Charta 08 ein, protestierte gegen die politisch motivierte Inhaftierung von Julia Tymoschenko, durch die ukrainischen Machthaber. Er empfing am Krankenbett einen alten Freund, den Dalai Lama und zollte ihm Anerkennung für seine Mission. Als am 10. Und 24. Dezember in Moskau und vielen anderen Städten Russlands, hunderttausende Menschen auf die Straße gingen, um gegen das Leben in der verordneten Lüge zu protestieren, schien ein weiterer Traum von ihm in Erfüllung zu gehen.

 

 

Polnische Weggefährten und Freunde Vaclav Havels, Anhänger seiner Ideen und Inspirationen, wollen das Jahr 2012 als Jahr Havels begehen. Sie wollen sich den Herausforderungen der europäischen Integration in seinem Sinne stellen, in öffentlichen Debatten nach der Verantwortung der Bürger dafür fragen. Eine internationale Konferenz wird nach dem Politiker, Bürger und Künstler Vaclav Havel fragen. Eine Neuausgabe seiner Werke, Übersetzungen und der Raum der Kunst werden seine Gedanken und Visionen fruchtbar machen.

 

 

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