TAZ am Wochenende

 

8./9. März 2014


Putins Sieg – Putins Niederlage

 

Die EU hätte die Ukraine schon vor Jahren näher anbinden müssen. Sie war aber nicht interessiert

 

Am 17. Februar mahnte im Berliner Nobelhotel Adlon der polnische Expräsident Kwasniewski angesichts der Entwicklungen in der Ukraine zu Besonnenheit und Realismus. Man müsse mit Viktor Janukowitsch als Präsidenten leben, mindestens bis zu den nächsten Wahlen im Frühjahr 2015. Alles andere sei illusorisch. Niemand der zahlreichen Ukrainekenner im Saal widersprach.

 

Fünf Tage später gab es keinen Präsidenten Janukowitsch mehr. Am Freitag, dem 20. Februar, wurde er durch das ukrainische Parlament entmachtet, darunter einer Mehrheit von Abgeordneten seiner eigenen „Partei der Regionen“. Ob hier der Schock über das vorangegangene Massaker an Majdan-Aktivisten wirkte oder das politische Überlebensinteresse, soll dahingestellt sein. Eine erneuerte „Partei der Regionen“ könnte im künftigen ukrainischen Parlament eine ausgleichende und konstruktive Rolle spielen, unter anderem bei der Interessenvertretung der russischen Minderheit.

 

Vom eigenen jähen Sturz überrascht, raffte „Vitja“, wie ihn die Ukrainer spöttisch nennen, seine letzten Getreuen zusammen und machte sich aus dem Staub.

 

 

Genau sieben Jahre vorher, Ende Februar 2007 konnte man im gleichen Saal des Adlon, einen anderen Viktor Janukowitsch erleben. Die permanenten Zerwürfnisse zwischen den orangen Kräften und deren Unfähigkeit zu durchgreifender Reformarbeit, hatten den glücklosen Staatspräsidenten Viktor Juschtschenko in ein Bündnis der „Nationalen Einheit“ getrieben und ermöglichten dem Chef der Regionen ein Intermezzo als Ministerpräsident. Nach einem Besuch bei Bundeskanzlerin Andrea Merkel und einem Treffen mit hochrangigen deutschen Wirtschaftsvertretern, folgte er einer Einladung des Yalta European Strategy-Forums in das Berliner Hotel. Er präsentierte sich dort als überzeugter Europäer und warb um Verständnis für den Reformweg der Ukraine. Seine Fortschritte beim Erlernen der ukrainischen Sprache fanden ebenfalls Erwähnung. In Gesprächen mit polnischen Gegenübern versuchte er regelmäßig mit seiner polnischen Großmutter zu punkten.

 

2008 rief die EU die "Östliche Partnerschaft" ins Leben. Damit enstand im Rahmen der europäischen Nachbarschaftspolitik ein neues Politikformat. Sechs Länder - die Ukraine, Weißrussland, Georgien, Moldawien,Armenien und Aserbaidschan - sollten mittels angestrebter Assoziierungsabkommen darin unterstützt werden, Reformen in Richtung Demokratie und Marktwirtschaft voranzutreiben. Es gab eine langfristige Beitrittsperspektive. 

Gleichzeitig spielten Akteure der Zivilgesellschaft eine wichtige Rolle. Sie organisierten sich in einem eigenen zivilgesellschaftlichen Forum und versuchten bei der Stärkung des wissenschaftlichen und kulturellen Austausches, der Arbeit der Massenmedien und auf anderen Feldern Einfluss zu nehmen. Sie prangerten Menschenrechtsverletzungen und verschleppte Reformen in den jeweiligen Ländern an, wurden zum wichtigen Partner für Politiker in Brüssel und anderen Ländern der EU.

 

Janukowitsch hatte die Zerstrittenheit seiner Kontrahenten und ein misslungener Wahlkampf von Julia Timoschenko im Februar 2010, einen knappen Wahlsieg verschafft. Er trat als Staatspräsident mit dem Versprechen an, wirtschaftliche und politische Reformen voranzutreiben und die Korruption zu bekämpfen. Das Gegenteil passierte. Trotz anfänglich guter Wirtschaftsdaten, stockten weitere Reformen, Internationale Vergleiche sahen die Ukraine, in Sachen Korruption, Einschränkung der Medienfreiheit und Rechtssicherheit weiter zurückfallen. Der ukrainische Autor Mykola Rjabtschuk sprach von einer „autoritären Konsolidierung“ des Landes.

 

Noch bis zum Herbst 2013, strebte Janukowitsch 

aus guten eigenen Gründen den Abschluss eines Assoziierungsabkommens an. Der Erfolg gegenüber der EU sollte ihm im bevorstehenden Präsidentschaftswahlkampf Punkte verschaffen, denn eine Mehrheit von Ukrainern versteht sich proeuropäisch, nicht nur im Westen des Landes. Außerdem stand der Donezker der Aussicht skeptisch gegenüber, im Rahmen des von Putin favorisierten Gegenprojektes einer Eurasischen Union, Statthalter von Gnaden des Kreml zu werden.

Putin aber wollte die Ukraine mit aller Macht zurückgewinnen, denn nur mit ihr bekäme die fossile Eurasische Union imperialen Glanz. Er erhöhte also den Druck auf Janukowitsch, lockte mit schnellen Krediten und löste eine historische Dynamik aus, die ihren vorläufigen Höhepunkt in der Intervention auf der Krim findet.

 


Angesichts einer längst militärischen Intervention, die einen klaren Bruch des Völkerrechtes und erklärter Garantieabkommen gegenüber der Ukraine darstellt, muss die anfängliche Ratlosigkeit und Handlungsunfähigkeit des Westens, zutiefst frustrieren. Europa und der Westen insgesamt haben eine ganze Menge Möglichkeiten für deutliche Antworten und wirksame Reaktionen. Der Putinschen Propagandamaschinerie entgegenzutreten, die seit Monaten auf Hochtouren läuft, ist eine davon.

 

Kommentare, Stellungnahmen und Gesprächsrunde in den deutschen Medien zeigen eine erstaunliche Wirkung von Manipulationen und demagogischen Tricks:

 

Die Ukrainer hätten ihre Ansprüche weit überzogen und müssten zur Mäßigung zurückfinden; der Majdan sei von extremen Nationalisten beherrscht, der russischsprachige Teil der Bevölkerung werde unterdrückt und die Russen in der Ukraine müssten um ihre Sicherheit fürchten. Von da aus ist es bis zu Putins Diffamierung der ukrainischen Übergangsregierung als Faschisten und seinen Putschphantasien nicht mehr weit.

 

Es gibt extreme Nationalisten in der Ukraine und sie sind auch politisch organisiert. Aber sie stellten auf dem wochenlang friedlichen Majdan, eine Minderheit. Die ersten brutalen Repressionen im November, die Provokationen und Schüsse im Januar und das Massaker am 18. Februar gingen von der Janukowitsch-Regierung und denen, die im Hintergrund mitspielten aus. Unter den Toten des Majdan sind Armenier, Belarussen, Georgier, Juden und auch ein Pole. Jüdische Beteiligte am Majdan und Vertreter des Jüdischen Weltkongresses, verweisen die Behauptung eines massenhaften Antisemitismus in der gegenwärtigen Ukraine, ins Reich der Märchen.

 

Janukowitsch wurde vom ukrainischen Parlament entmachtet, nachdem er es viel zu lange als Instrument eigener Macht missbrauchen konnte. Die Anklage gegen ihn, wegen der Verantwortung für zahlreiche Morde wurde zu Recht erhoben. Unter dem Einfluss der rechtsnationalistischen Partei Swoboda, wurde von der Übergangsregierung ein Sprachenkompromiss zurückgezogen. Ein gravierender Fehler, der inzwischen korrigiert ist.

 

Weder auf der Krim, noch in anderen Regionen der Ukraine ist die Sicherheit von Russen bedroht. Viele russischsprechende Ukrainer verstehen sich als proeuropäische Patrioten. Der Historiker Jaroslaw Hrycak formuliert es deutlich: „Dnipropetrowsk und Saporoshe sind mit Kiew nicht mit Russland.“ Er spielte damit auf die proukrainischen Massenproteste in diesen Städten und anderen ostukrainischen Städten, wie Charkiw und Odessa an.

 

Diplomatie und Sanktionen können sich angesichts der Entwicklung nicht mehr als Alternative gegenüberstehen, wie es die deutsche Seite versucht. Beides ist nötig. Im Konflikt um die Krim, geht es um ganz klare Ausgangsforderungen. Die russische Intervention, die längst militärischen Charakter angenommen hat, darf unter keinen Umständen hingenommen werden. Russische Militärangehörige- müssen in ihre Stützpunkte innerhalb und außerhalb der Krim zurückkehren, die Handlungsfähigkeit der ukrainischen Militär- und Zivilverwaltung muss wieder hergestellt werden. Militärische- und zivile Beobachter der OSZE und anderer internationaler Organisationen, brauchen ein robustes Mandat um den gesamten Prozess begleiten und kontrollieren zu können. Ein Referendum über die Zukunft der Krim macht erst dann Sinn, wenn die territoriale Integrität der Ukraine wieder hergestellt ist. Wird die OSZE Mission weiterhin behindert und hat keine Möglichkeit ihr Mandat auszuüben, hat ein Referendum auf der Krim keine Relevanz.

 

Geht Russland auf diese elementaren Forderungen nicht ein, weigert es sich weiterhin die ukrainische Seite als Verhandlungspartner anzuerkennen, dann müssen gezielte Sanktionen folgen. Sanktionen, welche die russischen Eliten treffen, wie Kontensperrungen und Visaverweigerung, die Aussetzung und Überprüfung zahlreicher Vertragswerke gehören dazu. Der Export von Rüstungsgütern und Militärtechnologie nach Russland ist sofort zu stoppen. Ein G-8 Gipfel in Sotchi ist unter den gegenwärtigen Bedingungen kaum vorstellbar und selbst der Ausschluss Russlands aus dieser Runde, würde nicht, wie befürchtet, alle Gesprächsfäden kappen. Die USA fordern zu Recht sofortige Sanktionen gegenüber Putin. Sie haben begonnen Visabeschränkungen gegen russische und ukrainische Verantwortliche zu verhängen.

 

Ungleich stärker sind die positiven Möglichkeiten der EU und des Westens. Ein schneller Abschluss des Assoziierungsabkommens in Kiew und die wirksame Ausschöpfung aller darin enthaltenen Möglichkeiten wären ein erster Schritt. Noch dringender ist die wirtschaftliche und finanzielle Unterstützung des Landes. Elf Milliarden zugesagte Soforthilfe können hier nur ein erster Schritt sein. Entscheidend ist die internationale Anerkennung und Unterstützung der Übergangsregierung, ist die intensive Begleitung der für Mai angesetzten Präsidentschaftswahlen.

 

Russland als Partner zu gewinnen, ist in einem ganz anderen Sinne wichtig. Putin und sein System, verkörpern nicht das gesamte Russland. In den Winterwochen gab es auf dem Kiewer Majdan eine eigene russische Solidaritätsinitiative mit der Ukraine. In Russland selbst mehren sich die Stimmen, welche sich dem Wahnsinn der Putinschen Interventionspolitik widersetzen.

 

Vielleicht hat Adam Michnik Recht, wenn er schreibt, dass die Entwicklungen in der Ukraine, dass Ende des Systems Putin beschleunigen werden. Sein scheinbarer Sieg auf der Krim, treibt Russland in die Isolation, treibt sein System in die Ächtung der zivilisierten Welt.

 

 

Auf der Berliner Solidaritätskundgebung am letzten Sonntag war eine vereinzelte russische Fahne zu sehen, an der ein Zettel befestigt war: „Heute schäme ich mich für mein Land“. Wenn die Rufe „Hanba, Hanba“ – Schande, Schande ertönen, sollten sie nicht Russland gelten, sondern Putin und denjenigen, die ihm immer noch folgen. Die Ukraine und Russland gehören als Nachbarn eng zusammen. Eine freie, unteilbare, europäische Ukraine kann den Weg zu einem künftigen demokratischen Russland bahnen, dass all seinen Nachbarstaaten ein guter Partner ist.

 

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