Basil Kerski/Andrzej Stanislaw Kowalczyk: Ein ukrainischer Kosmopolit mit Berliner Adresse

von Wolfgang Templin

aus: Liberal, Vierteljahreshefte für Politik und Kultur, Berlin, Dez. 2004

 

Wer den seit mehr als sechs Jahrzehnten in Berlin lebenden ukrainischen Historiker und Journalisten je in der Fülle seiner Geschichten, Anmerkungen und Bonmots erleben konnte, fragte begierig nach Memoiren oder Erinnerungen des vitalen älteren Herrn. Ob er es für zu früh hielt oder von Artikeln, Vorträgen und Reisen zu besetzt war, Osadczuk wehrte die Fragen danach immer lachend ab. Erst dem Warschauer Literaturhistoriker Andrzej Stanislaw Kowalczyk und dem Berliner polnisch-deutschen Publizisten und Politikwissenschaftler Basil Kerski gelang das Kunststück. Sie formten die Essenz tage- und nächtelanger Gespräche mit dem unermüdlichen Verfechter eines ukrainisch-polnisch-deutschen Dialoges, zu einem ungewöhnlichen Lebensporträt. Im Jahre 2001 in Polnisch vorliegend, gibt es jetzt eine erweiterte und aktualisierte Ausgabe in deutscher Sprache.

 

Geboren 1920, im ostgalizischen Kolomea, wächst Osadczuk mit den Erinnerungen an die habsburgische Vergangenheit Galiziens, an die Huzulenkultur seiner Heimatregion auf, wird aber zugleich mit den Nationalitätenproblemen im wiedererstandenen polnischen Staat konfrontiert. War der Direktor des Gymnasiums ein Legionär und Anhänger Pilsudkis, von daher also tolerant, verkörperte schon der nationaldemokratische Religionslehrer die Gegenlektion eines militanten Antisemitismus und Verachtung alles Ukrainischen. Das Ringen der Ukrainer um ihre eigene kulturelle und nationale Identität, die jahrhundertealten Überlagerungen im polnisch-ukrainischen Verhältnis, Belastungen, Zwist und die Bemühungen um Ausgleich und Versöhnung, werden zum Lebensthema Bohdan Osadczuks. Er erlebt als Heranwachsender in den dreißiger Jahren, wie die II. polnische Republik die Chancen einer ausgleichenden Nationalitätenpolitik verspielt, wie die sowjetische Seite und später auch die Deutschen den polnisch-ukrainischen Streit und Hass schüren. Die Jahre des 2.Weltkrieges verschlagen ihn nach Berlin, wo er und andere ukrainische Studenten, zwischen trügerischer Sicherheit und Verhaftungswellen überdauern.. Mit viel Glück übersteht er das Kriegsende und findet, um der drohenden Rücksiedlung durch die sowjetische Seite zu entgehen, auf abenteuerliche Weise seinen Platz in der Presseabteilung der polnischen Militärmission. Die im Gesprächsband festgehaltenen Erinnerungen und Räuberpistolen aus der wilden Berliner Nachkriegszeit können den Leser förmlich hintüber werfen. Bohdan Osadczuk, der die ganze Zeit Kontakte zu nichtkommunistischen Emigrantenkreisen unterhält, inzwischen mit seiner ukrainischen Freundin Iryna verheiratet ist, bricht mit dem stalinistischen Volkspolen und gibt die Anstellung bei der Militärmission auf. Als freier Journalist, der über aktuelle Entwicklungen in Osteuropa berichtet und den demokratischen Teil der ukrainischen Emigration vertritt, ist er ständig im Visier der östlichen Geheimdienste. Mehreren Entführungsversuchen entkommt er mit viel Geschick. Zugleich wird er von der Mehrheit der nationalistisch ausgerichteten und auf polnische Feindbilder fixierten Emigrationsukrainer gemieden und angefeindet. Folgenreich wird sein erster Kontakt zu Vertretern, der in Paris erscheinenden polnischen Exilzeitschrift Kultura. Die Intellektuellen und Künstler, welche sich um die Kultura gruppieren, stehen im scharfen Gegensatz zur ihrerseits nationalistischen polnischen Emigration in London. Sie treten für die Anerkennung der polnischen Nachkriegsgrenzen im Osten, für den Ausgleich mit einer freien demokratischen Ukraine und gleichgestaltete Beziehungen zu einem freien Belarus und Litauen ein. Für die Kalte – Kriegs Situation der fünfziger Jahre und die Realitäten im sowjetischen Völkergefängnis, ein wahrhaftig utopischer Anspruch. Jahrzehnte später, nach 1989, wird diese Vision zur ostpolitischen Inspiration der III. Polnischen Republik. Polen wird zum wichtigsten Fürsprecher ukrainischer Souveränität und Annäherung an Europa. Im Jahre 2001 würdigt der polnische Staatspräsident Alexander Kwasniewski, Bohdan Osadczuk als bedeutendsten Fürsprecher der polnisch-deutschen Aussöhnung und verleiht ihm den Orden des Weißen Adlers.

 

Bis 1989 bleiben dem Journalisten und Historiker jedoch alle Länder des Ostblocks verschlossen. Er muss seine unerschöpfliche Neugier über andere Quellen, Kuriere und Begegnungen befriedigen und hat als unvollkommenen Ausgleich nur den Balkan und China, die für Reisen offen stehen. Mit Willy Brandt pflegt er in den fünfziger , sechziger und frühen siebziger Jahren enge Beziehungen. Während er die Aussöhnungspolitik gegenüber Polen unterstützt, lehnt er die Annäherungspolitik an die Sowjetunion unter Breshnew , entschieden ab. Hier stand ihm allem Egon Bahr sehr feindselig gegenüber, dem die deutschen Interessen und der Schulterschluss mit der Großmacht Russland über alles gingen.

 

In den gleichen Jahrzehnten entfaltet Osadczuk, der zwischenzeitlich promoviert und habilitiert hat, eine rege Lehrtätigkeit an der Freien Universität. Die Studenten belagern seine profunden und zutiefst unkonventionellen historischen Vorlesungen, sie schätzen ihn als Person, die mitten im politischen Leben steht und sich ideologisch nicht verorten lässt.

 

Mit der Revolution von 1989 geht Bohdan Osadczuks größter Lebenstraum in Erfüllung. Er kann nach langen Jahrzehnten endlich wieder in seine Heimat reisen, die Wiedergeburt einer unabhängigen Ukraine erleben und unterstützen, in den Kiewer Cafes sitzen und die Schönheit der ukrainischen Frauen bewundern. Wenn ihn bis in die jüngste Zeit etwas unzufrieden und wütend macht, dann ist es die zögernde und indifferente Haltung großer Teile der deutschen Eliten, gegenüber der Perspektive einer Mitgliedschaft der Ukraine in der Europäischen Union. Während für Länder wie die Türkei, die Idee des notwendigen Brückenbaus zwischen Rom und Byzanz bemüht wird und sich die Unterstützung einer künftigen Mitgliedschaft immer stärker durchsetzt, gibt es nach Osteuropa hin , immer noch eine Denksperre. Hier dominiert in der deutschen Politik und Diplomatie die Haltung , "in Moskau sein Herz bloßlegen, in Kiew mit einem Blumenstrauß winken und dann zurückfahren".

 

Bohdan Osadczuk ist Realist genug, um zu ermessen, welche Hürden sich vor einer Beitrittperspektive für die Ukraine auftürmen, welche gewaltigen Anstrengungen das Land selbst aufbringen muss, um aus dem Schatten Russlands herauszutreten, Demokratie und Marktwirtschaft zu entwickeln. Er hat sein Leben mit dieser Aufgabe verbunden und dokumentiert das in einem faszinierenden Buch.

 

Basil Kerski/Andrzej Stanislaw Kowalczyk (Hrsg.)

Ein ukrainischer Kosmopolit mit Berliner Adresse

Gespräche mit Bohdan Osadczuk

fibre Verlag, Osnabrück 2004

 

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