Die Zaren lassen grüßen

Eine russische Starjournalistin beschreibt, wie Wladimir Putin systematisch seine Herrschaft ausbaut

aus: Rheinischer Merkur, 17. März 2005

von Wolfgang Templin 

 

Klare Worte in Berlin: in seiner Rede vor dem Deutschen Bundestag in der vergangenen Woche lehnte der neue ukrainische Präsident Viktor Juschtschenko das Modell der sogenannten „gelenkten Demokratie“ für sein Land ab. Der Weg in eine wirkliche Demokratie, orientiert an den Werten Europas, sei das wichtigste Ziel des Reformweges der Ukraine,die nach der "orangenen Revolution" in die EU strebt. Anders sieht die Lage in Russland aus.

Für gelenkte Demokratie steht das Systems Wladimir Putins , welches die russische Journalistin Anna Politkovskaja in einem neuen Reportagenband eindrücklich beleuchtet. Seit ihrem international ausgezeichneten Report „Tschetschenien. Die Wahrheit über den Krieg“ aus dem Jahre 2003 ist sie auch im Westen bekannt. In Russland sah sie sich Verfolgungen ausgesetzt, wurde inhaftiert und erhielt Morddrohungen. Im vergangenen Jahr erhielt sie den schwedischen Olaf-Palme-Preis, da sie bei ihrem Einsatz für Menschenrechte "Mut, oft verbunden mit erheblichen persönlichen Risiken" gezeigt habe. Ende April wird Politkovskaja mit dem Leipziger Medienpreis ausgezeichnet.

 

Sie versteht ihre aktuelle Arbeit nicht als Versuch einer Analyse des russischen Systems unter Putin sondern als „emotionale Randnotizen“ einer betroffenen russischen Bürgerin - Randnotizen und Reportagen, die es in ihrer schonungslosen Offenheit und Eindringlichkeit in sich haben.

 

Politkovskajas Einblicke in das Innere der neuen Machtstrukturen, die Verbindungen von Mafiabossen, Sicherheitskräften und Politikern, könnten als persönliche Auseinandersetzung und Abrechnung mit der Person Wladimir Putins gelesen werden, sie sind jedoch Verweis auf eine mehr als gefährliche Gesamtentwicklung, die über die Person des mächtigen Präsidenten inausgeht und die gesamte Gesellschaft betrifft.

Aus den Zerfallsprodukten der alten Sowjetunion unter Boris Jelzin, aus chaotischen postsowjetischen Übergangserscheinungen, entwickelte sich mit dem Machtantritt Wladimir Putins eine neosowjetische Restauration, in der sich Sicherheitsdienste, Militärs und eine neue Oligarchenkaste in die Macht teilen. Nicht die Abkunft aus dem Sicherheitsapparat lastet Anna Politkovskaja Putin an, sondern die Tatsache, dass er den Oberstleutnant des KGB in sich nie ausgemerzt habe. Seine alten Freunde aus Petersburger Zeiten, ehrgeizige Nachrücker, Anhänger Jelzins, die bereit waren bedingungslos auf die Fahne Putins zu schwören prägen die russische Entwicklung. Hinzu kommt Personal der alten Nomenklatura, die man längst versunken glaubte.

 

Erschütternd sind Anna Politkovskajas Bilder aus dem Leben einer Armee, in der jährlich mehr als fünfhundert Rekruten durch Schläge und Misshandlungen ihrer Vorgesetzten oder Mitsoldaten zu Tode kommen, in der Selbstmorde an der Tagesordnung sind. Ob es Beispiele aus der in Tschetschenien eingesetzten 58. Armee sind, aus einem Panzerregiment in Südrussland oder Raketenwerfereinheiten in Sibirien, die Vielzahl und das Muster der Übergriffe und Misshandlungen zeigen, dass es nicht um Einzelfälle sondern ein System geht.

Für den Stolz und die Würde der russischen Nation, wie die Armee in Präsidentenansprachen apostrophiert wird, sind Kadavergehorsam, Prügel und Vertuschung aller internen Verbrechen die Regel. Einzelne Militärrichter und Staatsanwälte, die ihrem Gewissen folgen oder dem Druck der Öffentlichkeit nachgeben, werden versetzt, abgeschoben oder suspendiert. Organisationen wie das "Komitee der Soldatenmütter" oder „Memorial“ mit denen Anna Politkowskaja für alle ihre Berichte zusammenarbeitete stehen unter Druck und sind von Kriminalisierung bedroht.

 

Der zweite Tschetschenienkrieg 1999, der Putins Durchbruch zur Macht legitimierte, bedeutete eine neue Stufe der Militarisierung der gesamten russischen Gesellschaft auch jenseits des Kriegsgebiets. Dazu gehört die Fixierung auf einen terroristischen Gegner, zu dessen Ausmerzung jedes Mittel erlaubt sein musste. Politkowskaja rollt einen der spektakulärsten Gerichtsprozesse auf, in dem es um die Ermordung und Vergewaltigung einer jungen tschetschenischen Zivilistin ging. Der nach langem Kampf der Angehörigen angeklagte russische Juri Budanow, sah sich mit seiner Schutzbehauptung einer vermeintlichen Terroristin, der Affektsituation und der Leugnung der Vergewaltigung schon in Sicherheit. Eine prominente Gutachterin des Moskauer Serbskij-Institutes, die zu sowjetischen Zeiten bereits Dissidenten in die Psychiatrie brachte, bescheinigte dem Offizier Unzurechnungsfähigkeit. Hier schlug die Willkür dann doch noch in ihr Gegenteil um. Aufgrund von internationalem Interesse und einem wahltaktischen Profilierungsbedarf Wladimir Putins in Sachen Rechtsstaatlichkeit kam es im Jahre 2003 überraschend zu einer Verurteilung Budanows. Diese Konsequenz blieb jedoch ein Einzelfall.

 

Ebenso deprimierend sind Politkowskajas Momentaufnahmen aus dem russischen Alltagsleben. Mit "Tanja, Mischa, Lena und Rinat" stellt die Journalistin Bekannte und Freundinnen vor. Gewinner- und Verliererbiographien im gegenwärtigen Russland gehen extrem auseinander. Tanja arbeitet sich von der Marktfrau zur erfolgreichen Geschäftsfrau hoch. Sie kandidiert für das Stadtparlament, um den Politikern nicht weiter Bestechungsgelder zahlen zu müssen. Rinat, Offizier eines Spezialregiments für militärische Aufklärung, haust nach seiner Demobilisierung in einem armselig möblierten Kasernenzimmer. Er hatte nie eine eigene Wohnung gehabt und kann sich nun eine Miete nicht mehr leisten.

In ihrem Resümee anlässlich des Beginns der zweiten Machtperiode Putins, lässt Anna Politkovskaja an einer Wahrheit keinen Zweifel. Die Akzeptanz Putins durch die Mehrzahl der russischen Gesellschaft ist die größte Stütze der Autokratie. So lange es nur eine kleine Minderheit ist, die den Drang nach Freiheit und Demokratie nicht in sich erstickt und solange diese Minderheit im Westen nicht ernst genommen wird, hat die russische gelenkte Demokratie gute Karten.

 

Anna Politkovskaja: In Putins Russland

DuMont Verlag, Köln 2005

19,90 €

 

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