Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Teilnehmerinnen und Teilnehmer,

 

lassen sie mich meinen Beitrag mit einem Traum beginnen. Evangelische Akademien gehören zu den Orten, an denen Utopien, an denen Visionen ihren Platz haben, warum also nicht auch Träume.

Ich habe geträumt, eine Sitzung der SPD-Grundwertekommission in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre zu erleben. In die Diskussion, wie es denn mit der schwierigen Beziehung zur DDR, den Gesprächen und Kontakten dorthin weitergehen soll, fällt ein Vorschlag des immer rührigen und innovativen Johanno Strasser.

"Wie wäre es , wenn wir endlich einmal anstatt der offiziellen DDR-Ideologen mit Vertretern der unabhängigen Friedenskreise oder einer Oppositionsgruppe, wie der Initiative Frieden und Menschenrechte", in Kontakt treten und diskutieren würden?“ Ihm begegnen Zweifel und ungläubige Reaktionen in der Runde.

"Es wäre für die Gruppen viel zu gefährlich und sie würden es selbst gar nicht wollen. Außerdem würde ein solches Vorgehen, die offizielle Seite der DDR derart verprellen, dass nach deren Seite nichts mehr ginge. Wer kennt sich überhaupt in der unabhängigen Szene so aus, dass er produktive Gesprächsrunden anbahnen oder vermitteln könnte?"

Johanno Strasser hat mit Widerstand gegenüber seinem Vorstoß gerechnet und gibt sich nicht einfach geschlagen:

"Wozu haben wir Westberlin und die politischen Emigranten aus der DDR. Wozu gibt es Jürgen Fuchs, mit dem man sich streiten und anderer Meinung sein kann, der aber in der Vermittlung von Kontakten und Wegen in die DDR hinein absolut zuverlässig ist ? Oder der rührige Roland Jahn. Die Phase in der sich die unabhängigen Gruppen abschotteten und keine Westkontakte aufnehmen wollten ist längst vorbei. Den Offiziellen der DDR, die nach Aufwertung und Dialoglegitimation gieren, wird gar nichts anderes übrigbleiben als protestierend unsere eigenen Wege zu akzeptieren. Selbst die bundesdeutschen Konservativen machen sich auf den Weg zu den unabhängigen Gruppen. Sollen wir denen das Feld überlassen?"

An dieser Stelle bricht mein Traum ab, denn wir alle wissen, dass sich von diesem Traum nichts oder fast nichts erfüllte. Bis auf Gerd Weiskirchen, der aber als einzelne Person kam, gab es keine sozialdemokratischen Kontakte zur späten DDR-Opposition. Gespräche mit DDR-Kirchenvertretern, die manchmal angeführt werden, sind von anderer Bedeutung.

Dafür ging für uns ein großer Traum in Erfüllung und verwirklichte sich eine damit verbundene Hoffnung. Man konnte in der DDR der achtziger Jahre unsere gesamte Post kontrollieren, man konnte unsere Telefone überwachen und nach Bedarf abstellen. Man konnte über zahlreiche Gruppenmitglieder den sogenannten „Landesarrest“ verhängen und damit jede Reise nach Prag, Warschau oder Budapest unmöglich machen. Isolieren und von der Welt abschneiden, was das Ziel all dieser Maßnahmen ja war, konnte man uns jedoch nicht. In keinem Jahrzehnt meines Lebens hatte ich so viele internationale Kontakte und Besucher, wie in dieser Zeit. Ganz Europa gab sich in einigen Ostberliner Wohnungen die Klinke in die Hand, trotz der Wagen der Staatssicherheit vor der Tür und den Überwachungskameras auf der anderen Straßenseite. Unsere Hoffung, über den eigenen Tellerrand hinauszukommen, die Hinterzimmer der Kirche zu verlassen, Teil des unabhängigen dissidentischen Dialoges zu werden, der von Moskau bis Paris, von Sofia bis Stockholm reichte, der auch Gäste aus den Vereinigten Staaten und entlegeneren Teilen der Welt zu uns finden ließ, erfüllte sich.

 

Er erfüllte sich, weil eine kleine Minderheit der Grünen um Petra Kelly, Milan Horacek und Lukas Beckmann ab Anfang der achtziger Jahre, den Weg zu uns fand. Weil politische Emigranten wie Jiri Pelikan und Jan Minkiewicz, Ex-Maoisten um Christian Semler und einzelne Vertreter der Alternativen Liste in Westberlin wie Marie-Luise Lindemann, Elsbeth Zylla, Wolfgang Schenk und Dieter Esche, Teil eines Ost-West-Netzwerkes wurden, dass den Austausch zwischen der mittelosteuropäischen Dissidenz und den unabhängig kritischen Kräften des Westens zum Ziel hatte. Einzelne internationale Sozialdemokraten, wie der Niederländer Herbart Ruitenberg, der aus seinen Erfahrungen in Südafrika, für die Wirklichkeit von Diktaturen unbestechlich wurde, halfen im Netzwerk genauso, wie junge Anarchisten, Studenten und Globetrotter verschiedenster Couleur. Nicht zu vergessen, die Diplomaten, Korrespondenten und einzelnen Politiker, die auf unserer Seite standen und ihren Immunitätsstatus „unerlaubterweise“ zur Beförderung von Informationen, Literatur und Drucktechnik nutzten.

 

Auf diese Weise überquerten Thesen, Manuskripte und Texte die Ländergrenzen, entstanden Aufrufe mit Unterzeichnern aus nahezu allen Ostblockländern, wurden Solidaritätsaktionen für Inhaftierte organisiert und gemeinsame Konferenzen zustandegebracht. Die wichtigsten Inhalte des Austausches waren von der Situation bestimmt, welche die ausgehenden siebziger und die beginnenden achtziger Jahre prägte.

 

Interne Krisenpotentiale, KSZE-Prozess, Hochrüstung und internationale Friedensbewegung ließen in den im Warschauer Pakt zusammengeschweißten Blockländern und der Sowjetunion selbst, neue Formen der Opposition wachsen. Eine Opposition, die sich wie das polnische KOR und die tschechische Charta 77, um die Durchsetzung grundlegender Bürger- und Menschenrechte formierte. Im Unterschied zu zahlreichen Positionen der westlichen Friedensbewegung, hielten die östlichen Dissidenten mehrheitlich an der untrennbaren Verbindung von Frieden und Menschenrechten fest.

 

In der Auseinandersetzung mit zurückliegenden Widerstandsformen und –traditionen entstand der länderübergreifende Ansatz einer gewaltfreien demokratischen Opposition, die ihren pluralen Charakter als Wert erkannte, die nicht abstrakte Programmdiskussionen führte, sondern Handlungskonzepte entwarf und gemeinsame Perspektiven diskutierte.

 

Die Organisation gesellschaftlichen Widerstandes, ob von einem Netzwerk kleiner Gruppen gestützt oder bereits von einer politischen Massenbewegung getragen, wie der Solidarnosc in Polen, rangierte vor der Hoffnung auf die Erfolge westlichen Regierungshandelns. Gorbatschows Versuch, ein unreformierbares System durch verspätete Reformversuche zu retten, wurde als Öffnung von Türen verstanden, nicht jedoch als Rettung aus der Not.

 

So verschieden die Lebensbedingungen, der Grad und die Formen gesellschaftlichen Widerstands in den einzelnen Blockländern auch waren, die Situation und das Gefühl gemeinsamen Eingesperrtseins hinter dem eisernen Vorhang schweißte zusammen. Eines Eingesperrtseins, welches zugleich das kollektives Ausgesperrtsein vom Erfolgsprojekt Europa bedeutete. Europa - Westeuropa, glänzte nicht nur als Wohlstandinsel, sondern gewann seine Anziehungskraft aus den Normen von Rechtsstaat und Demokratie.

Der polnische Romancier, Kazimierz Brandys, den es in der Solidarnosczeit nach Westberlin verschlug, beschrieb die Hoffnung auf Europa, das Gefühl des Ausgeschlossenseins, und des fehlenden Interesses im Westen, eindringlich:

„Wie ist es möglich, dass sie nicht sehen, dass unser Schicksal ihnen immer näher rückt. Ihre Philosophen, Gelehrten und Künstler, woran denken sie eigentlich, wenn sie eine Karte des geteilten Europas sehen, fällt ihnen irgendetwas ein, haben sie den Ansatz einer Idee von einem gemeinsamen Leben West- und Mitteleuropas? Die sowjetischen Panzerkorps, die Mitteleuropa an Bug und Elbe einschließen, ist es das, was die westlichen Philosophen heute ernst nehmen?“[1]

Im gleichen Text, Ende 1980, spricht Brandys davon, dass den Westlern der Zukunftsinstinkt abhanden gekommen sei und prophezeit :

"ich könnte ihnen schwören, dass wir eine gemeinsame Zukunft haben werden". Für den Dialog der Dissidenten bedeutete dies, den Weg nach Europa gemeinsam zu sehen, die Aufhebung der deutschen Teilung als Moment der Aufhebung der europäischen Teilung zu verstehen.

 

Dieser Dialog war in vollem Gange als das SPD/SED –Dialogpapier vorbereitet wurde und entstand. Er schloss Teile der verspäteten und über zahlreiche Gruppen zerstreuten DDR-Opposition ein. Anders als die Mehrzahl der mittelosteuropäischen Dissidenten hatten aber zahlreiche jüngere DDR-Oppositionelle immer noch einen positiven Bezug zu der Perspektive eines demokratischen Sozialismus. Sie waren, wie in einer bemerkenswerten Analyse des Historikers Patrik von zur Mühlen festgehalten wird, „in der DDR aufgewachsen, hatten dort ihre Sozialisation erfahren, die Strukturen und Institutionen des Staates als selbstverständliche, wenn auch als mangelhafte Wirklichkeit erlebt. Auf jeden Fall betrachteten sich die meisten Angehörigen dieser Gruppen als Kinder der DDR. Dieses Bewusstsein schloss auch die gesellschaftlichen Verhältnisse ein, den Sozialismus, den man zumindest von seinen Intentionen her durchaus positive Züge abzugewinnen bereit war“[2]

 

Hier bestand eine Brücke zur Dialogsuche der SPD. Es war kein Zufall, dass gerade Willy Brandt und seine Politik, bei kritischen DDR-Geistern so großen Kredit besaß.

Die Forderung mehr "Demokratie wagen" signalisierte Aufbruch und eine Veränderung der Bundesrepublik. Es wäre ein eigenes, ausgedehntes Thema warum geraume Zeit nach Bad Godesberg, viele Mitglieder der SPD – immer noch demokratischen Sozialismus nicht als soziale Demokratie, als Wertehorizont ,sondern als Systemalternative verstanden. Warum die gleichen Sozialdemokraten in den „aufgeklärteren“ Vertretern der SED und nicht in den Oppositionellen ihre Dialogpartner erblickten.

 

Wie auch immer die Antwort auf diese Fragen ausfällt, wir waren 1987 mit den Nachrichten über die Gespräche, mit der Vorstellung und Vorlage des Dialogpapiers konfrontiert. Wenn ich über die Aufnahme des Papiers, über Reaktionen darauf, im Spektrum der unabhängigen Gruppen sprechen soll, werde ich ähnlich wie Ulrike Poppe nicht den Anspruch haben können, für die Gruppen zu sprechen. Mitte 1987, noch vor den Ereignissen und Verhaftungen um die Umweltbibliothek und dem Konflikt um die Luxemburg-Liebknecht Demonstration vom Januar 1988, war die Entwicklung hin zur politischen Opposition in den meisten Gruppen noch in vollem Gange. Das Abnabeln von der schützenden Kirche, das Besetzen eines gesellschaftlichen Freiraums der vorher unmöglich schien und der extrem unterschiedliche Umgang mit der Frage „Gehen oder Bleiben “ schufen eine Situation die der Diskussion um das Dialogpapier nur in Ansätzen Raum geben konnte. Die Wucht der Ereignisse von 1989, die für einen winzigen historischen Moment aus der machtlosen kaum erwachten Opposition eine machtvolle Bürgerbewegung werden ließen, lag noch in der Zukunft.

 

Für einen Ausschnitt und kleineren Teil der Beteiligten sprechend, werde ich mich auf Reaktionen und Positionen im Umfeld der Initiative Frieden und Menschenrechte konzentrieren. Die Mitglieder der seit 1985 existierenden Initiative verstanden sich als Teil der politischen Opposition und waren am stärksten im mittelosteuropäischen Oppositionsdialog eingebunden. Einige ihrer Vertreter hatten intensive, eigene SED-Erfahrungen. Das erklärt sicher auch, warum die Gruppe weniger euphorisch und zustimmend reagierte. Skepsis und Ablehnung wurden auf mehreren Ebenen geäußert:

 

1. Was war von der SED-Seite und der Dialogbereitschaft ihrer Vertreter zu halten:

Für jeden mit der Geschichte und der inneren Situation der SED Vertrauten, bot die Partei das Bild einer weitgehend gleichgeschalteten, im Verhältnis zu den Kommunistischen Parteien der anderen Blockstaaten monolithischen und effizienten Kaderorganisation. Waren noch die fünfziger Jahre von Fraktionskämpfen und internen Revolten geprägt, gab es hier noch deutliche Spuren sozialdemokratischer Einflüsse und Traditionen, änderte sich das Bild in den späteren Jahrzehnten. Die eiserne Faust Ulbrichts, das immer weiter ausgebaute System von Anreizen und Privilegien schufen einen tiefgestaffelten, hierarchischen Organismus, der von der Nomenklaturakaste an der Spitze bis zu den Erfüllungsgehilfen und Befehlsempfängern der Basis reichte. Was im Gefolge und der Wirkung von Gorbatschow als Bewegung der Parteireformer verklärt wurde, war ein Murren in Teilen der Basis, dass den Apparat und den ideologischen Kern der SED als Reformanstoß nicht erreichte. Die Absetzbewegungen, Manöver und Vorstöße von Markus Wolf und einer Reihe jüngerer Parteikader, signalisierten den Macht- und Ablösungswillen von Teilen der jüngeren DDR-Elite gegenüber der Gerontokratie im Politbüro, nicht aber die Bereitschaft und den Willen zu grundlegenden Reformen.

 

2. Zeitpunkt und Zeitrahmen des Dialogpapiers

Auffallend war, dass die Vorbereitung und Vorstellung des Dialogpapiers in einen Zeitraum fiel, der von besonders heftigen Aufwertungsbestrebungen der DDR gekennzeichnet wurde. Erich Honecker musste im Vorfeld seines Bonn- Besuches massiv daran gelegen sein, die DDR als öffnungs- und dialogbereit zu präsentieren. So sehr er eisern an bestimmten Positionen und Dogmen festhielt, die Mauer noch hundert Jahre stehen lassen wollte und am Machtmonopol der SED nicht rütteln ließ, so sehr war die Führungsspitze der DDR durch die wirtschaftliche Talfahrt und die zunehmende Abhängigkeit nicht nur der Wirtschaft, auf die Kooperation mit der Bundesrepublik und anderen westlichen Staaten angewiesen. Die entscheidende Frage war nur, ob der Dialog- und Kooperationsdruck wirkliche Zugeständnisse in Sachen politischer Freiheiten und Bürgerrechte befördern konnte. Initiatoren und Unterstützer des Dialogpapiers setzten darauf. Erste Ereignisse nach der Präsentation des Papiers schienen ihnen recht zu geben. In einer für die bisherige DDR-Praxis unvorstellbaren Weise, wurde auf dem sogenannten Olof-Palme-Friedensmarsch im September 1987, ein gelenkter und kontrollierter Pluralismus initiiert und inszeniert, der in Kirchenkreisen und einzelnen beteiligten Gruppen stürmische Euphorie auslöste. Ein neues Zeitalter der Verständigung schien in Sicht, Skeptiker wurden als Schwarzseher abgestempelt. Unmittelbar nach dem Honeckerbesuch und seinen erwünschten Ergebnissen, kam die Quittung für den verfrühten Optimismus. Ob als Teil einer abgestimmten Gesamtstrategie oder weil sich ein anderer Teil der SED-Führung durchsetzte, es kam zu verschärften Repressionen, Kontrollen, Zuführungen, Hausdurchsuchungen, einer erneuten Politik der harten Hand . Gerichtet nicht nur gegen die Spitze der Opposition, die es am härtesten traf, sondern gegen alle Ansätze selbständigen Denkens und Handelns, gegen den Geist des Dialogpapiers. Man konnte in diesen Tagen und Wochen förmlich spüren, wie sich eine Schlinge zuzog, eine Verhaftungswelle anbahnte. Spätestens nach den Ereignissen um die Umweltbibliothek, die sich vom 25. November bis Anfang Dezember 1987 erstreckten , hätten wenigstens die am Dialogpapier beteiligten SPD-Vertreter, öffentlich und unmissverständlich gegen eine solche diktatorische Praxis protestieren müssen. Dem Dialog mit der Macht und ihren Vertretern, hätte dann der Dialog mit den unabhängigen politischen Opposition folgen können.

 

3. Menschenrechte im Dialogpapier

Weil es hier um den Kern unserer Positionen ging, beschäftigte uns die Aussagen bezüglich der Menschenrechte im Dialogpapier besonders. Das Menschenbild der offiziellen DDR war bekannt, nicht nur, wenn es um andersdenkende Menschen ging.

Auf einer propagandistisch ausgerichteten Ebene versuchten DDR-Ideologen seit Beginn der 70er Jahre ein eigenes sozialistisches Konzept der Menschrechte zu entwickeln. Dieses Konzept wurde von der These getragen, dass im Unterschied zu bürgerlichen Staaten die sozialen Grundrechte (Recht auf Arbeit, Recht auf Bildung, Recht auf soziale Sicherheit) in der DDR durchgesetzt seien. Notwendige Einschränkung politischer Freiheitsrechte resultierten für eine Übergangszeit aus von den übergeordneten Erfordernissen des internationalen Klassenkampfes. Jedoch hatte niemand das Recht diese sozialen Grundrechte in der DDR einzuklagen. Sicherheit des Arbeitsplatzes und Bildungsmöglichkeiten wurden solange gewährt, wie sich Bürgerinnen und Bürger der DDR systemkonform verhielten. Die Staatsmacht allein konnte diese Rechte zuteilen, genauso wie sie entziehen konnte.

 

Wir als Dissidenten konnten nicht daran glauben, dass die im Dialogpapier enthaltene positive Bezugnahme auf internationale Menschenrechtsvereinbarungen an dieser Praxis etwas ändern würde. Zu oft hatte sich die SED bisher auf historische Ausnahmesituationen berufen. Es gab allerdings auch in unseren Kreisen Stimmen, die dem Papier eine wichtige Berufungsfunktion zuschrieben und darin seinen Wert sahen.

 

Lassen Sie mich zum Schluss noch etwas aus dem zeitlichen Abstand sagen. Es ist eine Sache damals Hoffnungen gehegt zu haben, die zur Entstehung und Verteidigung des Dialogpapiers führten. Die andere Sache ist, wie man diese Illusionen heute bewertet.

 

Zwischen 1987 und 2002 liegen eine Reihe weltgeschichtlicher Ereignisse. Vor allen sind das die europäischen Befreiungsrevolutionen von 1989. Die Erfahrungen und Ergebnisse dieser Revolutionen haben einiges klar gezeigt. Alle sozialistischen Systeme sind aus Notwendigkeit untergegangen. Gorbatschow musste mit seinem verspäteten Reformansatz scheitern. In anderen osteuropäischen Ländern wie z.B. Polen hat der Wille zur demokratischen Freiheit gewonnen.

 

Teilweise habe ich während dieser Tagung eine komplette Zeitreise erlebt. Mit Professor Erich Hahn fühlte ich mich wie bei Diskussionen, bei denen es darum ging, den gescheiterten Versuch einer sozialistischen Variante der DDR wieder aufleben zu lassen. In den letzten Wochen konnte man den gemeinsamen Versuch von Oskar Lafontaine und Gregor Gysi verfolgen, den Gegensatz von Kommunismus und Sozialdemokratie auf einen Familienstreit zu reduzieren, der doch schnell geschlichtet werden sollte. Erhard Eppler, den ich in vielen anderen Beziehungen sehr schätze, sprach von der wünschenswerten Reintegration kommunistischen Denkens in den Hauptstrom europäischer Geschichte. Wenn damit die Reintegration ehemaliger Kommunisten, die ihre geschichtlichen Irrtümer verstanden haben, verbunden ist, kann ich dem nur zustimmen. Die Wiederbelebung kommunistischer Ideen ist für mich inakzeptabel.

 

Wolfgang Templin

 

[1] Michael Zeller, Europa beim Wort genommen, Kafka, Zeitschrift für Mitteleuropa. 8/2002.

S. 61

[2] Patrik von zur Mühlen, Aufbruch und Umbruch in der DDR. Bürgerbewegungen, kritische Öffentlichkeit und Niedergang der SED-Herrschaft. Dietz 2000. S. 37

 

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