Kommune 2/2012
Forum für Politik, Ökonomie und Kultur
Wolfgang Templin

 

 

 

Zwei Jahre nach Smolensk
Polens Gesellschaft im Aufbruch

Der 11. April 2010 stürzte Polen in eine der tragischsten Situationen seiner bisherigen Geschichte. Konfrontiert mit den offiziellen Trauerfeierlichkeiten zum Jahrestag der Tragödie von Katyn, bei denen der liberalkonservative Ministerpräsident Tusk und sein russischer Gegenüber Wladimir Putin im Mittelpunkt standen, rüstete der nationalkonservative Staatspräsident Lech Kaczynski zu einer eigenen Trauerfeier in Katyn. Angehörige der Katyn-Opfer, Journalisten, Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, hohe Militärs und zahlreiche Politiker füllten die Präsidentenmaschine, die am Morgen des 11.April, trotz widrigster Witterungsbedingungen und Warnungen vor dichtem Nebel in Richtung Smolensk startete. Der dortige Militärflughafen war nicht mit den modernsten Sicherungs- und Navigationssystemen ausgestattet, die eine Landung auch bei dichtestem Nebel ermöglicht hätten. Es kam zum Absturz der Maschine, unmittelbar vor der Landung, bei dem über neunzig Passagiere den Tod fanden, darunter der Staatspräsident und seine Gattin. Der Verlust eines ganzen Teiles der politischen und gesellschaftlichen Elite, der Schmerz über den sinnlosen Tod so zahlreicher geschätzter und geliebter Menschen, stürzte das ganze Land in den Schock.

 

Bei den Absturzursachen kamen dramatische Fehler der polnischen Seite in der Koordination des kurzfristig anberaumten Fluges, menschliches Versagen, so die fehlerhafte Verständigung zwischen der polnischen Besatzung des Flugzeuges und dem Tower in Smolensk, zusammen. Die unvollkommene technische Ausstattung des Flughafens und das Beharren des polnischen Staatspräsidenten auf dem Landeanflug, trotz der immer dringlicheren Nebelwarnung traten hinzu. Trotz der im Grundsatz übereinstimmenden Unfalleinschätzungen mehrerer Kommissionen, klammerten sich der Bruder des Präsidenten und Vorsitzende der nationalkonservativen Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (PIS) und seine Anhänger an Verschwörungstheorien. Sie reichten von künstlichem Nebel auf dem Flugfeld, einem Komplott der russischen Seite und deren geheimer Verbindung mit der polnischen Regierung, um den größten Patrioten Polens auszuschalten. Die notwendige Neuwahl des Präsidenten und die für 2011 anstehenden Parlamentswahlen gaben die Bühne für eine politische Offensive der polnischen Rechten, die weit mehr war als ein klassischer Lagerwahlkampf. Hier stellte sich erneut das heilige und in seiner Geschichte stets von Katastrophen und Feinden bedrohte, katholische und urkonservative Polen auf, dass unter den Brüder Kaczynski, mit dem Schlachtruf der IV. Republik angetreten war.

 

Der Ausgang der vorgezogenen Präsidentschaftswahlen im Sommer 2010, der Sieg des liberalkonservativen Kandidaten Bronislaw Komorowski vor seinem Herausforderer Jaroslaw Kaczynski und die Parlamentswahlen von 2012, mit einer erneuten Mehrheit für die Bürgerplattform und Ministerpräsident Donald Tusk, zeigten die Grenzen eines solchen Roll Back. Die PIS sah sich auf ihre Stammwählerschaft von zwanzig Prozent zurückgeworfen , an ihrem rechten Rand tummeln sich die Anhänger des ultrakonservativen Radio Maria und sinistre Gestalten fundamentalistischer Vereinigungen, die das Land am liebsten ins Mittelalter zurückholen wollen.

 

Womit nach Smolensk niemand gerechnet hatte, war die Stärke einer gesellschaftlichen Gegenbewegung, die sich angesichts der Gefahr eines rechtskonservativen Rückfalls und in schlimmer Rückerinnerung an die Zeiten der PIS-Regierung artikulierte. Eine Bewegung für ein neues, modernes Polen, in der vor allem die jüngere Generation, Studenten und liberale Intellektuelle zusammenfanden.

 

Für ein modernes Polen
Straßendemonstrationen, Internetforen, Happenings und Diskussionsveranstaltungen, so in den landesweit aktiven Klubs der Krytika Politiczna , der „Kritischen Politik“ geben seither den Inhalten und Forderungen dieser weitgefächerten Bewegung Ausdruck. Die wirtschaftlichen Erfolge des Transformationsprozesses und die Modernisierung zahlreicher Institutionen zeigen ihre Ergebnisse, eine neue Generation gut ausgebildeter und mit dem Ausland erfahrener Polen meldet ihr Bedürfnisse an. Es geht im Kern um eine größere Pluralität im gesellschaftlichen Leben, das Recht auf selbstbestimmte Lebensentscheidungen, Partnerwahl, Religionsbezug, eine stärkere ökologische Verantwortung. Im Zentrum zahlreicher Auseinandersetzung stehen die Privilegien und der ungebrochene Dominanzanspruch der polnischen Kirche. Deren Vertreter nutzten das Kapital, dass aus der entscheidenden Rolle des Katholizismus in Zeiten nationaler Teilung und kommunistischer Unterdrückung entstand. Nach 1989 handelte der polnische Klerus sowohl den Solidarnosc-Regierungen, wie auch den zwischenzeitlich regierenden Postkommunisten entscheidende Zugeständnisse und Privilegien ab. Rückgabe des Grundbesitzes, Rückkehr der Religion in die Schulen und ein nahezu mittelalterlich anmutendes Konkordat des polnischen Staates mit Rom, schufen Machtpositionen und einen weltanschaulichen Alleinvertretungsanspruch, der selbst liberalen Katholiken zuwiderlief. Im Schatten des polnischen Papstes und seiner Autorität, versuchte sich jede polnische Regierung mit der Kirche zu arrangieren. Vor 2004 ging es darum die Kirche in den Prozess eine Unterstützung des Beitrittes Polens zur europäischen Gemeinschaft einzubauen. Nach dem Tod Karol Wojtylas, versäumte der polnische Klerus jede Chance auf innere Erneuerung und den wirklichen Dialog mit kirchenkritischen Menschen.

 

Hoffnungen die sich nach 2008 auf die liberalkonservative Bürgerplattform (PO) und die Regierung Tusk konzentrierten, wurden nach der Seite einer gesellschaftlichen Öffnung enttäuscht. Stimmen innerhalb der PO, die diesen weltanschaulich liberalen Positionen nahestanden wurden von einem starken gesellschaftskonservativen und kirchennahen Flügel der Partei marginalisiert. Auf der Seite der postkommunistischen SLD, die ihren skandalbegleiteten Absturz von 2004 lange nicht verwinden konnte, dominierte eine defensive und opportunistische Haltung gegenüber der polnischen Kirchenführung. Heiße Themen, wie das Abtreibungsrecht und die Anerkennung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften suchte man zu umgehen, ebenso die Frage der nicht zu rechtfertigenden Sonderstellung und Privilegien der katholischen Kirche.

 

Es blieb gesellschaftlichen Initiativen, Frauenrechtlerinnen, Außenseitern innerhalb der Kirche selbst und der kleinen Partei der polnischen Grünen „ Zielony 2004“ vorbehalten diese Anliegen aufzunehmen und für eine Öffnung zu werben.

Wohin geht der Aufbruch?
Links von den miteinander konkurrierenden Liberalkonservativen und Nationalkonservativen, zeichnete sich nach Smolensk zunächst keine ernstzunehmende politische Kraft ab, mit der sich die Welle gesellschaftlichen Aufbruchs verbinden konnte. Erster Hoffnungsträger dafür war im Umfeld der Präsidentschaftswahlen, der neue Führer des Linksbündnisses SLD, Grzegorz Napieralski. Er gab sich modern und offen, erwies sich jedoch zunehmend als Zögling der alten Parteibarone und Kader. Im Arrangement mit deren Konservatismus und Besitzansprüchen verprellte er die wirklichen Erneuerer. Zur wirklichen Sensation bei den Parlamentswahlen im Oktober 2011 wurde dann das Abschneiden von Janusz Palikot, einem bekannten Politiker der PO, der sich mit Donald Tusk zerstritten hatte und im Herbst 2010 eine eigene, zunächst nach im benannnte Partei ins Leben rief. Der schillernde und mit populistischen Fähigkeiten ausgestattete Politiker, griff mit seiner „ Bewegung Palikot“ die weltanschaulich liberalen, antiklerikalen Momente in der jungen Generation auf und schaffte es mit gezielten Provokationen in der Aufmerksamkeit zu bleiben. Das Fehlen eines konsistenten Programms und seine wechselhafte Biographie, die auch kirchenbezogene Phasen aufwies, verleitete zahlreiche Experten und Kommentatoren dazu, ihm jede wirkliche Chance für einen Wahlerfolg abzusprechen. Mit über zehn Prozent der Stimmen und vierzig Abgeordneten bereitete ihnen Palikot am Wahlabend die erste Überraschung.

 

Sofort taten sich die nächsten Fragen auf. Wie konnte das weitere Profil einer kaum entstandenen Partei aussehen, in deren Abgeordnetenreihen sich zahlreiche Unternehmer und Mittelständler mit eher wirtschaftsliberalen Neigungen, neben Feministinnen, Transsexuellen, ökologischen Aktivisten tummelten, die in Zügen eher den deutschen Piraten ähnelten, als irgendeinem anderen Ort im Parteienspektrum?

 

Palikot sorgte schnell für weitere Überraschungen. Mit seiner konsequenten Ablehnung der Atomkraft und der damit verbundenen energiepolitischen Option der Regierung, mit seinem Einsatz für erneuerbare Energien und andere ökologische Themen zeigt er, wie in der gesamten Themenpalette weltanschaulicher Liberalität, große Schnittmengen zu den nationalen und internationalen grünen Bewegungen. Während die SLD sich nach dem enttäuschenden letzten Platz bei den Wahlen von ihrem Hoffnungsträger Napieralski verabschiedete und mit dem Altfunktionär Leszek Miller auf das Gegenteil von Erneuerung setzte, bleibt die Bewegung Palikots selbst für kritische Geister eine Chance. Für das Frühjahr haben alle politischen Kräfte Polens zu eigenen Offensiven aufgerufen. Die polnische Rechte ringt um ihre Wiederbelebung, bei der es um den Kampf der Kaczynski-Anhänger in der PIS, mit radikaleren Abspaltungen der Bewegung „Solidarisches Polen“ geht. Der zweite Jahrestag der Tragödie von Smolensk, wird ihre Auftritte sehen. Die Regierungskoalition zwischen der PO und der Bauernpartei PSL leistete sich nach dem Wahlsieg schwere Fehler in der Durchsetzung dringender Reformvorhaben, was vor allem der PO Einbrüche in den Umfragen einbrachte.

 


Für die Kräfte und Initiativen eines modernen Polens steht die Frage ihres Platzes in neuen Kräfteverhältnissen und eigenen Koalitionen dringlich an.

 

Für den Ersten Mai plant der Ruch Palikot einen Kongress der europäischen Linken in Warschau, zu dem auch der europäische Grüne Daniel Cohn Bendit eingeladen wurde. Man darf gespannt sein.

 

 

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