Kommune 2/2011

Forum für Politik, Ökonomie und Kultur

Wolfgang Templin

 

 

 

Victor Orban und sein neues Ungarn
Eine rechte „Revolution“ und ihre Folgen

Der Blick auf die friedlichen Revolutionen des Jahres 1989 zeigt zwei diametral verschiedene Sichtweisen auf die Akteure dieses Geschehens in den verschiedenen Ländern Mittelosteuropas. Oppositionelle und demokratische Kräfte, welche die nationalen Umbrüche vorbereiteten und die alten Machthaber in die Knie zwangen, werden entweder heroisiert oder zu bloßen Statisten eines „Transformationsgeschehens“ erklärt, dass durch andere Einflüsse und Faktoren zustande kam. Die letztere Interpretation hält keiner Realität stand. Es war der Druck der Straße, des Widerstands und der organisierten Opposition, der die Machthaber in Warschau, Prag und Ostberlin zum Rückzug zwang, nicht die internationale Lage schlechthin, das Wirken eines Michail Gorbatschow oder gar die Voraussicht der westlichen Staatsmänner und -Frauen. Auf der anderen Seite hat sich jede Überhöhung und Idealisierung der oppositionellen Kräfte und ihrer Vertreter blamiert. Sie wurden nach dem Sieg der friedlichen Revolution mit der Erbschaft jahrzehntelanger Diktaturen, einer paralysierten Gesellschaft konfrontiert und mussten sich dem Aufbau rechtsstaatlicher und demokratischer Institutionen und dem Übergang in eine Marktwirtschaft als Aufgabe stellen. Überforderung, Rivalitäten, Konflikte, Spaltungen und bitterste Zerwürfnisse prägten bald das Bild der polnischen Solidarnosc-Akteure und ihrer ohnehin viel schwächeren Partner in den Ländern des ehemaligen Ostblocks.

 

Ein Realismus , der die Akteure des damaligen Umbruchs und ihre Folgewege mit all ihren Stärken und Schwächen wahrnimmt, wird Land für Land ein verschiedenes Bild vorfinden, wird die historische Rolle und den gegenwärtigen Platz eines Vaclav Havel und seiner Weggefährten anders wahrnehmen als die eines Lech Walesa und seiner Kontrahenten. Das extreme Beispiel eines solchen Weges, der mit den Ereignissen von 1989 begann, bietet der starke Mann Ungarns Victor Orban und seine Partei Fidesz.

 


Von der Opposition zur Macht
Die Sommer- und Herbstmonate des Jahres 1989, ließen in den Ländern des zerfallenden Ostblocks zahlreiche neue politische Kräfte und Personen, welche mit ihnen verbunden waren auf die politische Bühne treten. Für Ungarn war es, neben den bereits bekannten Postkommunisten und ihren politischen Gegenspielern in den Gruppen der demokratischen Opposition, die Bürgerbewegung Fidesz. Ihre zumeist jüngeren Mitglieder gaben sich betont nonkonformistisch, liberal und proeuropäisch. Sie machten mit Happenings und phantasievollen Aktionen von sich reden und erlangten mit ihrem bekanntesten Gesicht Victor Orban in diesen Monaten internationale Popularität. Aus der antiautoritären Bürgerbewegung wurde schnell eine Partei nationalliberalen Zuschnitts, welche die im Bund der Freien Demokraten (SZDSZ) und dem Ungarischen Demokratischen Forum (MDF) organisierten ehemaligen Oppositionellen an Machtenergie und Härte in den Schatten stellte. Victor Orban wurde ihr unbestrittener Führer, sowohl in der Zeit der parlamentarischen Opposition als auch in einer Phase der Machtbeteiligung, die bis 2002 reichte. Zu dieser Zeit hatte die Fidesz bereits starke nationalkonservative und populistische Züge entwickelt.

 

Acht Jahre sozialistischer, das heißt reformkommunistischer Regierungspolitik, ließ die Mehrheit der Ungarn an diesem Teil der politischen Klasse verzweifeln und immer stärker einen radikalen Wechsel wünschen. Ausbleibende oder halbherzige Reformen, wachsende Staatsverschuldung, Korruptionsaffären und die immer unverschämtere Selbstbedienungsmentalität der sozialistischen Eliten schürten die Unzufriedenheit. Der sozialistische Ministerpräsident gab in einer bekanntgewordenen geheimen Rede von 2006 offen zu, im Wahlkampf bewusst über die Wirtschaftslage des Landes gelogen zu haben, um sich den Sieg zu sichern. In einer Umfrage von 2009 schätzten nicht einmal ein Drittel der befragten Ungarn die zwei Jahrzehnte der Umgestaltungen als eine erfolgreiche Zeit ein. Zwei Drittel der Befragten hielten den Aufbau der Demokratie in Ungarn für gescheitert.

 

Auf dieser Grundlage konnte Victor Orban den „Kampf um eine neues Ungarn verkünden“ und bei den Parlamentswahlen vom April 2010 einen überzeugenden Sieg erringen. Das für ihn vorteilhafte mehrheitsbegünstigende ungarische Wahlsystem, verwandelte eine Mehrheit von knapp 53 Prozent der Stimmen für ihn und seinen kleinen christdemokratischen Koalitionspartner in eine Zwei Drittel Mehrheit der Parlamentssitze. Der Weg für Verfassungsänderungen war frei. So gut wie alle Kräfte der ehemaligen demokratischen Opposition waren von der politischen Bühne verschwunden und die vormals regierenden Sozialisten schwer angeschlagen. Zu einem weiteren Gewinner der Wahlen wurde die extrem rechte Partei „Jobbik“ , die mit Roma feindlichen, offen antisemitischen Parolen auftritt und paramilitärische Schlägertruppen hält, die sich in der Tradition der ungarischen Pfeilkreuzler –Faschisten verstehen. Einzige positive Überraschung der Wahlen war der Erfolg eines Bündnisses ziviler demokratischer Kräfte, die sich unter dem Motto „Politik kann anders sein“ (LMP) organisierten und aus dem Stand 16 Parlamentssitze errangen. In ihnen wird nicht zu Unrecht, die mögliche Keimzelle einer künftigen grünen Partei Ungarns gesehen.

 

Victor Orban sprach nach seinem Sieg von einer Revolution an den Wahlurnen und der damit möglich gewordenen moralischen Wende, die sich an Ungarns nationaler Identität orientiert. Nötig sei ein systematischer Elitenwechsel, um die Macht exkommunistischer Seilschaften und oligarchischer Strukturen zu brechen. Nicht nur bei diesen Punkten verblüfft die Ähnlichkeit der Vorstellungen Orbans vom künftigen Ungarn, mit der gescheiterten Konzeption der IV. Polnischen Republik der Gebrüder Kaczynski.

Staatliche Eingriffe ins Wirtschaftsleben, grundlegende Umbauten in den Ministerien und dem gesamten Staatsapparat sollten zu einem neuen politisch-wirtschaftlichen System mit stark staatkapitalistisch-dirigistischen Zügen führen. Nach diesen ersten Ankündigungen rieten zahlreiche Kommentatoren zur Beruhigung und sprachen von bloßer populistischer Rhetorik, der politische Normalität folgen werde. Orban sei Pragmatiker genug und habe ein zu modernes Parteiprojekt hinter sich, um sich harten Fundamentalismus und antidemokratisches Vorgehen leisten zu können. Außerdem sei er der einzige, der die Rechtsextremen Kräfte des Jobbik erfolgreich einbinden und entschärfen könne. Insgesamt stünde er für die Fähigkeit zu notwendigen Reformen und einen erfolgreichen europäischen Weg Ungarns.

Der große Umbau
Mehr als ein Jahr nach dem Wahlsieg der Fidesz wird deutlich, wie ernst Orban und sein Anhang ihre Ankündigungen meinten und mit welch brachialem jakobinischem Furor sie seither vorgingen. Noch stärker als vorher ist Fidesz zur reinen Führerpartei geworden - auch hier eine Parallele zur polnischen PIS Kaczynskis - in der einzig und allein der Wille Victor Orbans zählt. Hinter vorgehaltener Hand wird er unter Bezug auf seine diktatorischen Ambitionen Viktator genannt, spricht man von einer Putinisierung Ungarns. Gemäßigte und kompromissbereite Kräfte, die es in der Fidesz gab, sind an den Rand gedrängt oder haben die Partei verlassen. An ihre Stelle traten Neuankömmlinge, welche die Zeichen der Zeit begriffen hatten.

Neben raschen und brutalen Säuberungs- und Umbesetzungsaktionen in den Ministerien und im gesamten Staatsapparat, im Bildungswesen und anderen Bereichen des öffentlichen Lebens, waren es die mehr oder weniger starken unabhängigen Institutionen und Einrichtungen der jungen ungarischen Demokratie, die zur Zielscheibe der Angriffe wurden. Einen unabhängigen Staatspräsidenten, der nicht zu seinen Gefolgsleuten zählte, konnte und wollte sich Orban nicht leisten. Die Kompetenzen des ungarischen Verfassungsgerichtes wurden beschnitten, um ehrgeizige Reformvorhaben Orbans schneller und ungehinderter durch das Parlament peitschen zu können. Mit dem Argument einer notwendigen Generalüberholung der ungarischen Verfassung, die nach 1989 nicht neu entstand, wurden seither knapp ein Dutzend Verfassungsänderungen beschlossen, die in der Mehrzahl dem Regierungswillen Orbans entsprechen. Die Auseinandersetzung um eine neue Präambel der Verfassung zeigte, dass auch die vorher immer wieder als bloße verbale Zugeständnisse an die Rechten abgetanen nationalistischen und expansionistischen Parolen Orbans, Teil seines eigenen Projektes sind. So ist der Bezug auf die ungarische Stephanskrone kein rein symbolischer, sondern markiert den Anspruch eines historischen Großungarns in den Grenzen vor dem Vertrag von Trianon. Die Ausgabe ungarischer Pässe an Vertreter der ungarischen Minderheiten in der Slowakei und den anderen ungarischen Nachbarstaaten und die permanente Einforderung ihrer angeblich verweigerten nationalen Rechte schafft immer neue Konfliktherde.

In diesem Kontext musste die Übernahme der europäischen Ratspräsidentschaft durch Ungarn im Januar dieses Jahres bereits unter einem großen Fragezeichen stehen. Mit der ab Juli nachfolgenden polnischen Übernahme, würden damit zwei mittelosteuropäische Ratspräsidentschaften das Gesicht der Region prägen. Wieder zeigte sich, was von den proeuropäischen und demokratisch klingenden Ankündigungen Orbans und seiner Partei zu halten war. Während seine tatsächlichen wirtschaftlichen Reformschritte widersprüchlich bleiben, nicht wie versprochen, dem ärmeren Teil der ungarischen Gesellschaft zugutekommen, sondern die eigene Klientel begünstigen, geht der Angriff auf Kritiker und unabhängige Stimmen, allem voran unabhängige Medien mit unverhohlener Schärfe weiter. Die Einrichtung eines Medienrates, dessen Zusammensetzung und Zensurkompetenzen grundlegenden europäischen Standards widerspricht, ist hier das beste Beispiel. Hier mussten selbst Brüsseler Kräfte, die immer geneigt waren, Orban bessere Zensuren zu geben als er verdiente, Kritik äußern und Änderungen einfordern. Nur unter größten Anstrengungen und mit verbalen Konterattacken ruderte der Führer der Fidesz hier einige Schritte zurück. In der gleichen Zeit terrorisierten faschistische Schlägertrupps die Provinz und riefen ein ethnisch reines Ungarn ohne Roma aus. Die Sicherheitskräfte der ungarischen Regierung waren weit mehr damit beschäftigt, gegen Demonstranten und zivilen Protest vorzugehen, der sich gegen die Bedrohung der ungarischen Demokratie richtete, als den Kampfgruppen der Jobbik Einhalt zu gebieten.

 

Einer entscheidenden Herausforderung der ungarischen Ratspräsidentschaft, dem für Mai angesetzten Gipfel der Östlichen Partnerschaft in Budapest, konnte sich die ungarische Regierung durch Vertagen entziehen. Dieser Gipfel wird mit all seinen Herausforderungen nun in die Zeit der polnischen Ratspräsidentschaft im September fallen. Es wäre auch zu absurd gewesen, wenn die Vertreter der Regierung Orban ihre Standards in Sachen Demokratie und Rechtsstaatlichkeit an der Situation gefährdeter Demokratien oder autoritärer System im Kreis der sechs Partnerstaaten der Östlichen Partnerschaft messen müssten. Kurz nach der Abgabe der Ratspräsidentschaft an Polen ist es noch zu früh, eine Bilanz der Wirkung Ungarns auf diesem Feld zu ziehen. Weder für seine künftigen internationalen Auftritte, noch für die Politik Orbans im Land selbst lassen sich verlässliche Prognosen stellen. Sollte es so weitergehen, wie im ersten Regierungsjahr, stehen Ungarn, seinen Nachbarn und damit auch der Europäischen Union, gefährliche Zerreißproben bevor. Die Zustimmungsraten für Victor Orban und die Fidesz sinken, aber noch scheint ein großer Teil der Ungarn unter dem Schock der Vorgängerregierung zu stehen und an die positive Wirkung einer ordnenden, starken Hand zu glauben. Bis aus den wachsenden zivilen Protesten, den neuen politischen Kräften und der sich regenerierenden Opposition eine Alternative zum Machtkartell der Fidesz und ihres Führers erwächst, wird es Zeit brauchen. Die Slowakei und Polen haben jedoch gezeigt, dass in den mittelosteuropäischen Ländern, nationalistisch-populistische Experimente zur Episode verurteilt sind.

 

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