Strafaktion zweiter Teil?

Kaukasukonflikt und die Ukraine

 

aus: Financial Times Deutschland,  21.08.2008

 

von Wolfgang Templin

 

Die Weltöffentlichkeit wurde vom dem jähen Ausbruch kriegerischer Auseinandersetzungen in Südossetien geschockt und fragte sich zu Recht, was den georgischen Präsidenten in diese verantwortungslose Abenteuer einer militärischen Konfrontation mit der Supermacht Russland trieb. In den folgenden Tagen allerdings wurde auf russischer Seite ein strategisches Kalkül sichtbar, dass weit über die Grenzen einer abtrünnigen Kaukasusregion hinausweist. Der georgische Angriff traf nicht auf marodierende Separatisten, sondern auf seit Monaten bereitstehende Eliteeinheiten Moskaus, deren Aufmarschpläne von langer Hand vorbereitet waren.

 

Russische Truppen drangen ins georgische Kernland vor, bombardierten und zerstörten georgische Infrastruktur, töteten und drangsalierten die wehrlose Zivilbevölkerung und das ist weit mehr als das Muskelspiel militärischer Hitzköpfe.

 

Sie sollten allen Georgiern und den anderen unabhängigen Staaten und Nationen, in der von Russland beanspruchten Einflusszone signalisieren, dass Moskau ihren eigenen Weg in Richtung Europa, ihre angestrebte Anlehnung an den Westen, nicht duldet. Allen voran der Ukraine, dem ungehorsamen kleinen Bruder, der sich nach der formalen Unabhängigkeit des Jahres 1991 und einer länger dauernden Periode der Schaukelpolitik, mit der Revolution auf dem Maidan des Jahres 2004 einen immer wachsenderen Abstand erkämpfte.

 

Großmachtstrategen im Kreml haben die Hoffnung nie aufgegeben, durch einen erneuten Macht- und Regierungswechsel in Kiew, den slawischen Nachbarn dauerhaft an sich zu binden. Was als Unterstützung korrupter Präsidialregime am Widerstand der Bevölkerung scheiterte, wurde durch die Gaspistole und die Unterstützung separatistischer Bestrebungen ersetzt. Kein Wunder, wenn die ukrainische Öffentlichkeit, die Geschehnisse in Georgien gebannt verfolgt, Solidaritätsaktionen organisiert und Intellektuelle, wie der Schriftsteller Juri Andruchowytsch, vor der Wiederholung des georgischen Szenarios auf ukrainischem Boden warnen.

 

Im Mittelpunkt eines Folgeszenarios könnte die Krim stehen. Die historisch häufig umkämpfte Halbinsel im Schwarzen Meer, wurde zum Laboratorium brutalster Umsiedlungspolitik Stalins. Er ließ die dort ursprünglich siedelnden Krimtataren unter dem Vorwurf der Kollaboration mit den deutschen Okkupanten 1944 kollektiv deportieren. Ihr Schicksal teilten auf der Krim lebende Griechen, Armenier und Bulgaren. Die später angesiedelte und bis heute dominierende russischstämmige Bevölkerung sah sich mit einer Minderheit ansässiger Ukrainer und den in der Zeit nach Stalin mehr oder weniger illegal zurücksiedelnden Krimtataren konfrontiert. Erst 1954, nach dem Tod Stalins, an die ukrainische Sowjetrepublik angegliedert, blieb die Krim ein Zankapfel sowjetischer und postsowjetischer Nationalitätenpolitik. Hinzu kam ihre erstrangige strategische Bedeutung, um derentwillen Russland und die mittlerweile unabhängige Ukraine bereits in den Neunziger Jahren, mehrere Male an den Rand eines bewaffneten Konfliktes gerieten. Es dauerte Jahre, bis die Aufteilung der sowjetischen Schwarzmeerflotte abgeschlossen und eine Vereinbarung über den Flottenstützpunkt in Sevastopol 1997 unterzeichnet wurde. Der Vertrag ist bis zum Jahre 2017 gültig und sichert Russland die Stationierung umfangreicher Seestreitkräfte zu, welche jetzt für die Invasion in Georgien herangezogen wurden. Mehr als 30 Kriegsschiffe,20 Kampfflugzeuge und offiziell 14.000 Marinesoldaten sind dort stationiert. Auf ukrainischer Seite spricht man von 10 000 weiteren russische Militärangehörigen, die sich derzeit unangemeldet auf der Krim aufhalten. Das russische Militär beansprucht riesige Liegenschaften rund um Sevastopol für sich und verweigert die Kontrolle über die Einhaltung des Abkommens. Wie in Südossetien und Abchasien, wurden an die allermeisten auf der Krim lebenden ukrainischen Staatsbürger russischer Abstammung, russische Pässe vergeben, so dass Moskau seit Jahren mit dem Argument des Schutzes der Interessen seiner russischen Mitbürger auftrumpft.

 

Nach Einberufung des Nationalen Sicherheitsrates der Ukraine forderte Juschtschenko am 13. August die Rückkehr der 4 Kriegsschiffe der russischen Schwarzmeerflotte in den Hafen von Sevastopol. Außerdem sollte die ukrainische Regierung über Schiffs- und Truppenbewegungen innerhalb von 72 Stunden informiert werden. Er forderte Gespräche mit dem russischen Präsidenten Medvedev über bilaterale Regelungen während kriegerischer Auseinandersetzungen, an der die Schwarzmeerflotte beteiligt ist. Ukrainische Presseagenturen melden die erwartete Ankunft der russischen Kriegsschiffe für den 22. August. Zu Gesprächen hat sich Medvedev nur insofern geäußert, dass er die ukrainische Seite wissen ließ, er sei der Oberbefehlshaber der russischen Schwarzmehrflotte und würde in Übereinkunft mit internationalen Abkommen handeln.

 

Der ukrainische Präsident Juschtschenko reagierte auf den Konflikt im Kaukasus sofort und stellte sich hinter den georgischen Präsidenten Saakaschwili. Die Ministerpräsidentin Julia Tymoschenko schwieg zunächst und schon eskalieren die alten Spannungen zwischen den politischen Konkurrenten. Aus dem Präsidentenbüro wird Tymoschenko vorgeworfen, sie hätte ein Stillhalteabkommen mit Russland vereinbart, um ihren Präsidenschaftswahlkampf 2010 mit russischer Hilfe zu finanzieren. Die meisten politische Beobachter halten diese Anschuldigungen der politischen Korruption und des Hochverrats für absurd, zumal es keinerlei Beweise dafür gäbe.

 

Ob das russische Kalkül aufgeht, hängt von der Besonnenheit und Konsequenz der ukrainischen Seite ab, ebenso aber von der Haltung des Westens zum Gesamtkonflikt.

Es könnte der Fall, eintreten, dass sich die militärische Okkupation Georgiens für Russland als Pyrrhussieg herausstellt, die Kräfte eines pro europäischen Kurses der Ukraine stärkt und die Unterstützung der Bevölkerung dafür wächst.

 

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