Erschütterung und Schmerz

 

aus: Braunschweiger Zeitung v. 12.04.2010

 

Gastkommentar von Wolfgang Templin

 

Ein Land, eine Nation ist wie gelähmt. Die Nachricht vom Flugzeugabsturz des Staatspräsidenten Lech Kaczynski, seiner Frau Maria und seiner Begleitung lösten in ganz Polen unfassbare Erschütterung, Schmerz und Trauer aus. Mit dem Präsidentenpaar fanden knapp hundert Menschen den Tod: Spitzenpolitiker, hohe Staatsbeamte, fast die gesamte Militärführung des Landes, Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens und die Flugzeugbesatzung. Ihr Verlust ist eine Tragödie nicht nur für Polen, sondern für ganz Europa.

 

Experten werden herauszufinden haben, ob diese Tragödie zu vermeiden war, ob ein vierfacher Landeanflug trotz eindringlicher Warnungen der Bodenstation, nicht ein zu hohes Risiko bedeutete.

 

Der Ort des Geschehens und die Umstände des Fluges sind historisch mehr als aufgeladen. Der Ort Katyn, den Lech Kaczynski und seine Begleitung erreichen wollten, steht symbolisch für die Ermordung von mehr als 20 000 polnischer Offiziere und Intellektueller durch den sowjetischen NKWD im Frühjahr 1940. Ihrer wollte die polnische Staatsdelegation, gemeinsam mit Angehörigen der Opfer gedenken. Bisher hatten sich die offiziellen Vertreter Russlands geweigert, die Schuld der stalinistischen Sowjetunion an diesem Verbrechen einzugestehen .

 

Die tragische Nähe zu dem Ort Katyn und die erneuten entsetzlichen Verluste der polnischen Elite, sollten aber keinen neuen Opfermythos begründen. Zu ungleich, zu grundverschieden sind die damaligen und heutigen Umstände. 1939/40 wurde Polen das Opfer des deutschen und sowjetischen Überfalls. Das nazistische Deutschland und das totalitäre System Stalins versuchten den ungeliebten Nachbarn auszulöschen. Der polnische Widerstandsgeist war damals nicht zu brechen und Jahrzehnte später wurde die Solidarnosc zum Vorläufer und Fanal der friedlichen Befreiungsrevolutionen von 1989. Heute ist Polen ein wichtiges Mitglied der europäischen Staatengemeinschaft und kann auf das Mitgefühl und die Solidarität aller Nachbarn zählen. Dies gilt für die Reaktionen in Deutschland und eben auch in Russland.

 

Hunderte Moskauer Bürger kamen vor der polnischen Botschaft zusammen und verneigten sich vor den Bildern des polnischen Präsidentenpaares. Der russische Staatspräsident Medwedjew zeigte in einer ungewöhnlichen Ansprache offen seine Erschütterung und ordnete für diesen Montag offizielle Staatstrauer an. Donald Tusk, der polnische Ministerpräsident traf am Ort des Geschehens mit Ministerpräsident Wladimir Putin zusammen, der ihn in den Arm nahm.

 

Ein polnischer Kommentator schrieb dazu: „Wenn aus dieser entsetzlichen Tragödie etwas Gutes erwachsen kann, dann wäre es das Wunder einer Polnisch-Russischen Aussöhnung. Die symbolische Geste Wladimir Putins war eine Geste, die sich an uns alle richtete“

 

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