Drachen mit vielen Gesichtern

Das Vorspiel zu den Parlamentswahlen in der Ukraine gleicht einem Krimi. Ein Happyend ist nicht sicher

aus: Publik-Forum, Nr. 18, 2007

 

von Wolfgang Templin

 

Ein großes Plakat auf den Straßen Kiews zu den Parlamentswahlen am 30. September zeigt den Spitzenkandidaten des orangenen Wahlblocks Juri Luzenko. Er hat das Gesicht eines freundlichen Jungen und spielt mit einem kleinen Fabelwesen in seinen Händen "Zeit, den Drachen zu erschlagen" lautet die Unterschrift des Plakats. Doch in der Ukraine haben die Drachen viele Gesichter. So wie die Hoffnung.

 

Schon die Parlamentswahlen als solche verströmen bei manchen Ukrainern Hoffnung. Im August letzten Jahres sah die Situation noch anders aus. Die Parlamentswahlen im März 2006 hatten die Partei der Regionen von Viktor Janukowytsch - er vertritt die alten, prosowjetischen Kräfte - mit über 30 % als stärkste Kraft gesehen. Dennoch gab es für die orangenen Kräfte und Parteien um den Staatspräsidenten Viktor Juschtschenko , die charismatische Julia Tymoschenko und den Führer der Sozialisten Olexandr Moros, eine knappe Mehrheit. Viele Ukrainer fühlten sich von den orangenen Eliten, die ihre Reformversprechen nicht eingelöst hatten, enttäuscht, andere wollte ihnen noch eine Chance geben und fürchteten den Durchmarsch der “Donezker“ um Janukowytsch

 

Frühjahr und Sommeranfang 2006 verstrichen mit quälend langen Koalitionsverhandlungen, in denen persönliche Eitelkeiten und mannigfache Differenzen eine Einigung der Orangenen verhinderten. Als dann im Juli Olexandr Moros die Seiten wechselte und zu Janukowytsch überlief – zahlreiche Beobachter sprachen von hohen Millionenbeiträgen , deren Spuren bis nach Moskau führten – kippte die Situation.

 

Staatspräsident Viktor Juschtschenko, vom Wesen her kompromissbereit, durch die Rivalitäten und das Chaos im eigenen Lager frustriert, nahm im August einen weiteren Überraschungscoup seiner Gegner hin und stimmte der Nominierung von Viktor Janukowytsch als Regierungschef zu. Die labile Machtbalance zwischen dem Staatspräsidenten - dem nach der ukrainischen Verfassung eine starke Stellung zukommt - und den Vertretern des Regierungslagers, sollte durch ein „Universal“ genanntes nationales Verständigungsdokument gefestigt werden. Im Universal waren u.a. der europäische Weg der Ukraine, sowie die Annäherung an die EU und NATO – Strukturen festgeschrieben. Kritiker und Skeptiker sprachen bereits im Spätsommer davon, die Gegensätze beider Seiten seien so groß, dass sie keine wirkliche Zusammenarbeit zuließen. Trotz Reformscheu und zahlreichen Inkonsequenzen gäbe es im orangenen Lager, vor allem in der Wählerschaft, eine Mehrheit, welche die Ukraine aus dem Panzer postsowjetischer Verhaltensmuster und Abhängigkeiten befreien wolle. Gute Beziehungen zu Russland solle es geben, aber unter Wahrung voller nationaler Eigenständigkeit. Allmählich wachse auch die Bereitschaft sich den Reformaufgaben zu stellen.

 

Anders sähe es auf der Gegenseite aus. Bei aller proeuropäischen Rhetorik und nationalen Verständigungstönen von Janukowytsch, werde dessen Lager von den postsowjetischen Mentalitätsmustern der Anhänger und den Interessenlagen der Oligarchen an der Spitze dominiert. Diese wollten gerne am Brüsseler Tisch sitzen und mit ihren Maßanzügen die alten Tätowierungen verdecken, ohne sich wirklich zu ändern.

 

Im Herbst und Winter 2006 zeigte sich, wie sehr die Skeptiker recht behielten. Juschtschenko musste eine Demütigung und Minderung seiner Kompetenzen nach der anderen hinnehmen und drohte zum Frühstückspräsidenten zu werden. Von ihren regionalen Machtzentren im Osten des Landes aus, versuchten die Vertreter des Janukowytsch –Lagers das Rad noch einmal zurückzudrehen und die Sicherung ihrer Interessenlagen auf Dauer zu stellen. Eingriffe in die Pressefreiheit, die es vor der Majdanrevolution auf administrativem Wege gab, wurden jetzt auf ökonomischem Wege angegangen. Personenwechsel in den Amtsstuben vollzogen sich nach bewährtem Muster.

 

Mit dem forcierten Stimmenkauf weiterer Abgeordneter aus dem Oppositionslager stand im März eine verfassungsändernde Mehrheit des Janukowytsch –Lagers im Parlament bevor, die Juschtschenko endgültig entmachtet hätte. Ein "kalter Staatsstreich" drohte und setzte den Präsidenten unter Handlungsdruck. Protagonisten und Anhänger der Majdan – Revolution, die den erneuten Durchmarsch der alten Kader auf allen Ebenen erlebten und die Rückkehr von Praktiken und Strukturen der Kutschmazeit nicht hinnehmen wollten, machten seit Wochen mobil . Einer der bekanntesten Majdan – Aktivisten, der Sozialist Juri Luzenko,

 

hatte sich als orangener Innenminister an der Reform der Polizei- und Sicherheitsstrukturen versucht. Er quittierte den Verrat des sozialistischen Parteiführers Moroz, mit dem Verlassen der Partei und fiel als Minister dem Machtkampf zwischen Juschtschenko und Janukowytsch zum Opfer. In Verteidigung der Werte und Ideale des Majdan initiierte Lucenko im Januar eine Bewegung der "gesellschaftlichen Selbstverteidigung", in der er enttäuschte Anhänger der Orangenen um sich scharte.

 

Oppositionsführerin Julia Tymoschenko sprach Ende März auf dem größten Protestmeeting der Orangenen, von der drohenden Usurpation der Macht durch die Gegenseite. Die Janukowytsch –Koalition habe sich bereits alles untergeordnet, was ihr nur möglich sei.

 

"Entweder kommt die Wahl jetzt oder wir werden keine Wahl mehr haben" rief sie in die Menge von über hunderttausend Menschen.

 

Dies hatte auch der Staatspräsident begriffen und handelte endlich. Mit einem Präsidialdekret verfügte er am 2.April die Auflösung der Werchowna Rada und vorgezogene Neuwahlen. Stimmenkäufe von Abgeordneten und die damit verbundenen Wechsel der politischen Lager als Verfälschung des Wählerwillens, waren sein Hauptargument für die Auflösung des Parlaments. Von der plötzlichen Entschiedenheit Juschtschenkos kalt getroffen, reagierte das Janukowytsch – Lager mit Interventionen, Blockaden und Verfassungsbeschwerden. Turbulente Wochen folgten, die das Land an den Rand einer Staatskrise und bewaffneter Auseinandersetzungen zwischen den Sicherheitskräfte brachten. Erst Ende Mai kam eine Einigung zustande, in welcher der Termin für vorgezogene Neuwahlen auf den 30.September festgelegt wurde. Zwischenzeitlich waren die persönlichen Zustimmungswerte für Juschtschenko rasant gestiegen. Er hatte sich vom Zauderer und symbolischen Übervater, erneut in den Mann der Stunde verwandelt, der die Herausforderung annahm.

 

Darüber ,was Neuwahlen bringen können, ob die festgefahrene Situation der letzten beiden Jahre doch noch aufzulösen ist, gehen aktuell die Meinungen der Beobachter, geht die Stimmung in der Gesellschaft, weit auseinander. "Nach der Wahl, wird vor der Wahl sein" urteilen die einen, denn die politischen und gesellschaftlichen Bruchlinien hätten sich nicht verändert, beide Seiten seien annähernd gleichstark, so dass ein erneutes Patt drohe. Viele einfache Ukrainer sind wahlmüde und sehen die Aktivitäten der politischen Eliten auf allen Seiten als Selbstbedienungsbetrieb für deren eigene Interessen. Andere Stimmen ziehen den Vergleich zur Ukraine vor 2004 und wollen an eine erneute Chance glauben. Juschtschenko und eine Reihe orangener Politiker hätten aus einigen entscheidenden Fehlern gelernt. Im aktuellen Wahlkampf sei das Präsidentenlager - ein Parteienblock um die Juschtschenko – Partei Unsere Ukraine - bedeutend besser aufgestellt und habe mit Juri Luzenko einen Spitzenkandidaten der für Integrität, Reformwillen und den Kampf gegen die Korruption stünde. Von den vorderen Plätzen der Liste seien die korruptionsanfälligen alten Freunde des Präsidenten verschwunden, die immer auf einen Deal mit den Janukowytsch –Leuten schielten. Auch dies sei ein Grund zur Hoffnung.

 

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